dem Direktor des Naturmuseums von 2005 bis 2017. Ein Nachruf.
Wie kann ein Nachruf einem Vito Zingerle annähernd gerecht werden? Er war fast alles, begeisterter Familienvater, Wissenschaftler, Museumsmann, Führungskraft, Visionär, Intellektueller, Netzwerker, überzeugter Ladiner, Gartenliebhaber, Reisender, umtriebiger Tausendsassa. Er war stets ausgesprochen freundlich, loyal, anspruchsvoll, fair, weitsichtig, offen, lustig, grenzenlos begeisterungsfähig, ungeheuer vielseitig und – wenn es das gäbe – ein echtes Multitasking-“Arbeitstier“ und vieles mehr; seine wichtigsten Arbeitsgeräte: Smartphone und PC. Große Entscheidungen traf Vito überall, beim Frühstück, im Zug, auf Parkplätzen, im Aufzug, in der Mensa, auf der Straße oder einfach im offenen Büro. Wenn mich wer fragt, woran sein Herz besonders hing, kann ich nur sagen, an allem! Auf meine Frage, wie er das alles unter einen Hut brächte und dann auch noch für seine Familie da sein könne, meinte er nur: „geht schon, Familie ist total wichtig, so bärig, wenn ich abends mit den Kindern spielen und für sie da sein kann!“
Vito kam 1999 direkt von der Universität durch einen Wettbewerb als begabter und hoffnungsvoller Spinnenfachmann an unser Museum und bekleidete fortan die Stelle des Zoologie-Konservators. Es sollte der Start einer steilen Karriere werden. 2001 wurde er Koordinator und 2005 zum Direktor des Naturmuseums berufen. Dort blieb er bis November 2017, um dann in der Landesverwaltung die Karriereleiter höher zu steigen.
Seinen Spinnen blieb er anfangs am Museum aber treu, soweit es möglich war. Bald musste er sich dann aber ganz den Führungsaufgaben des Hauses widmen. Ich hatte nicht nur das Glück bei Vito arbeiten zu dürfen, sondern stand ihm von Anfang an als sein Stellvertreter zur Seite und das im Wortsinn. Die Informationen, die bei ihm zusammenliefen, teilte er stets. Ich hielt es genau gleich. So waren wir beide über alle Vorhaben derart genau informiert, dass wir uns jederzeit haben ersetzen können, inhaltlich natürlich, nicht juridisch.
Vito gewann die Ohren seiner Gesprächspartner durch entwaffnende Freundlichkeit und sein einnehmendes Wesen. Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, als Vito richtig zornig wurde und hochrot anlief: Zwischen ihm und einem Messeveranstalter entwickelte sich ein heftiger Disput, der unter anderem in einer missgünstigen Äußerung über „sein“ Naturmuseum gipfelte. Das Bemerkenswerte daran, Vito verbat sich, das Naturmuseum schlecht zu reden, verteidigte also die Institution und nicht sich. So kennen ihn alle: sein Einsatz galt der Institution, dem Werk, samt den Mitarbeiter*innen. Darauf verwendete er all seine Energie, wenn er telefonierend durch die Stadt raste oder wenn er wichtige Leute traf. Er hatte sehr klare Ziele. Das Museum entwickelte sich unter seiner Führung geradlinig und konsequent zu einem im In- und Ausland beachteten Forschungsmuseum mit all seinen Facetten und konform zu den tragenden Säulen, wie sie die ICOM-Richtlinien vorsehen. Von Anfang an war recht klar, welche Richtung das Naturmuseum nehmen soll. Zielstrebig steuerte der Seemann Vito das Schiff durch alle Hindernisse, um die nächste Etappe des Weges zu nehmen. Die sehr frühe und erfolgreiche Anbindung an das Wissenschaftsnetz war nur eine der komplizierten Widrigkeiten auf diesen Routen. Manchmal drohte natürlich auch Schiffbruch, aber er versuchte es dann erneut und wieder, immer wieder. Ich bewunderte sein Durchhaltevermögen.
Nach außen machte sich die Produktivität des Museums durch ein fast unüberschaubares Angebot an qualitativ hochwertigen Ausstellungen, Aktionen und die professionellen Dienstleistungen der Vermittlung bemerkbar. Manchmal setzten die erbrachten Leistungen die Mitarbeiter*innen selbst in Erstaunen. Möglich war diese Produktivität nur durch ein hohes Maß an dauerhafter Motivation, dem eigentlichen Kapital, das Vito reichlich zu vergeben hatte. So trieb er die Belegschaft zu Höhenflügen. Für Außenstehende war leicht zu erkennen, wer zum Haus gehörte: das sind die mit dem Laufschritt! Darüber hinaus liebte es Vito zu kommunizieren. Seine Bürotür stand stets offen. Er meinte nur: „Wir sind ja eine kommunikative Einrichtung, also…“. Gestört fühlte er sich eigentlich nie, er wollte alles sofort wissen, nix Termine. Trotzdem würde ich ihn nicht einen Workaholic nennen. Geschickt lavierte er sich durch die zahllosen Probleme, die auf ihn herein prasselten. „Ein größeres Problem? Nur her damit, dazu hat man ja einen Direktor, damit er es löst!“ So versuchte er allen den Rücken freizuhalten und uns weitgehend effizientes Arbeiten zu ermöglichen. Freilich forderte Vito hohe Leistungen, aber wenn sie mit ehrlicher Anerkennung belohnt wurden, waren sie auch zu erbringen. In allen Bereichen wurde hoch professionell gearbeitet, bei der Entwicklung den komplexen Museumsdatenbanken, beim Aufbau von Ausstellungen, in der Werkstatt und den technischen Diensten, in der hausinternen Verwaltung, bei der Entwicklung der Ausbaupläne, bei der Betreuung der tausend jährlichen Schulklassen, den Tagungsorganisationen und überhaupt bei allem Tun. Vielleicht ging irgendwann alles zu schnell und wurde deshalb von der übergeordneten Verwaltung und der Politik nicht mehr verstanden.
Woran ich mich sehr gerne erinnere, waren unsere gemeinsamen Reisen und Museumsbesuche. Wir lernten dabei unglaublich viel. Die Sammlungen erfuhren durch Vitos Verbindungen enorme Zuwächse. Als junges Museum konnten wir bei Sammlern ein recht ungetrübtes, ja fast naives Interesse an den Tag legen. Überall wurden wir mit großer Neugierde empfangen. Vitos unbändige Freundlichkeit und sein einnehmendes Wesen empfanden alle als etwas ganz Besonderes. Jedes Gespräch begann Vito mit einer wertschätzenden Dankesrede. Zugleich konnte er aber auch sehr gut zuhören. Dieses Gefühl ehrlich an etwas interessiert zu sein, öffnete ihm Tür und Tor. In den anderen Museen wollten wir immer alles kennen lernen, nicht nur die Ausstellungen. Von Vitos respekteinflößender Sachkenntnis schier geblendet, genoss er als gleichwertiger Gesprächspartner und 100%iger Museumsmann stets hohe Achtung. So konnte er auch überall mitreden, nicht nur im wissenschaftlichen Bereich, auch in der Museumstechnik, der Architektur, der Betriebsstruktur, dem Sammlungsmanagement, der Langzeitkonservierung, dem Handwerk usw. Wir wollten immer alles sehen und erklärt bekommen, vom Heizraum bis zum Dachboden, vom Kassenbereich bis zu den Baustellen, von den Notfallplänen bis zu den Finanzquellen; alles – ein Leitgedanke in Vitos Berufsleben.
Auch nach seiner Beförderung zum Direktor der Abteilung für Forschung und Innovation, blieb Vito dem Naturmuseum gewogen und geistig verhaftet. Seine Strahlkraft sollte noch lange in „sein“ Haus reichen. Nun ist diese Hintergrundstrahlung abrupt erloschen. Vito Zingerle starb viel zu jung am 7. August 2023 im Alter von 53 Jahren.
Benno Baumgarten, stellv. Direktor des Naturmuseums i.R.